Baal
von Bertolt Brecht
Der Choral vom großen Baal
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Alle Laster sind zu etwas gut
Nur der Mann nicht, sagt Baal, der sie tut.
Laster sind was, weiß man was man will.
Sucht euch zwei aus: Eines ist zu viel!
Nicht so faul, sonst gibt es nicht Genuß!
Was man will, sagt Baal, ist, was man muß.
Wenn ihr Kot macht, ist's, sagt Baal, gebt acht
Besser noch, als wenn ihr gar nichts macht!
Seid nur nicht so faul und so verweicht
Denn Genießen ist bei Gott nicht leicht!
Starke Glieder braucht man und Erfahrung auch:
Und mitunter stört ein dicker Bauch. [...]
Baals Dachkammer
[...]
Baal: Und die Liebe ist, wie wenn man seinen nackten Arm in Teichwasser schwimmen läßt, mit Tang zwischen den Fingern; wie die Qual, vor der der trunkene Baum knarzend zu singen anhebt, auf dem der wilde Wind reitet; wie ein schlürfendes Ersaufen im Wein an einem heißen Tag, und ihr Leib dringt einem wie sehr kühler Wein in alle Hautfalten, sanft wie Pflanzen im Wind sind die Gelenke, und die Wucht des Anpralls, der nachgegeben wird, ist wie Fliegen gegen Sturm, und ihr Leib wälzt sich wie kühler Kies über dich. Aber die Liebe ist auch wie eine Kokosnuß, die gut ist, solange sie frisch ist, und die man ausspeien muß, wenn der Saft ausgequetscht ist und das Fleisch bleibt über, welches bitter schmeckt. Wirft die gitarre weg. Aber jetzt habe ich die Arie satt.
[...]
Baal: umfaßt die Schnapsflasche. In Pausen: Jetzt schmiere ich den vierten Tag das Papier voll mit rotem Sommer: wild, bleich, gefräßig, und kämpfe mit der Schnapsflasche. Hier passierten Niederlagen, aber die Leiber beginnen an die Wände ins Dunkel, in die ägyptische Finsternis zurückzufliehen. Ich schlage sie an die Holzwände, nur darf ich keinen Schnaps trinken. Er schwatzt. Der weiße Schnaps ist mein Stecken und Stab. Er spiegelt, seit der Schnee von der Gosse tropft, mein Papier und blieb unberührt. Aber jetzt zittern mir die Hände. Als ob die Leiber noch in ihnen drin wären. Er horcht. Das Herz schlägt wie ein Pferdefuß. Er schwärmt. O Johanna, eine Nacht mehr in deinem Aquarium, und ich wäre verfault zwischen den Fischen! Aber jetzt ist der Geruch der milden Mainächte in mir. Ich bin ein Liebhaber ohne Geliebte. Ich unterliege. Trinkt, steht auf. Ich muß ausziehen. Aber erst hole ich mir eine Frau. Allein ausziehen, das ist traurig. Schaut zum Fenster hinaus. Irgendeine! Mit einem Gesicht wie eine Frau! Summend ab. [...]
Landstraße. Weiden
[...]
Und der Himmel ward abends dunkel wie Rauch
Und hielt nachts mit den Sternen das Licht in Schwebe.
Aber früh ward er hell, daß es auch
Noch für sie Morgen und Abend gebe.
Als ihr bleicher Leib im Wasser verfaulet war
Geschah es, sehr langsam, daß Gott sie allmählich vergaß:
Erst ihr Gesicht, dann die Hände und ganz zuletzt erst ihr Haar.
Dann ward sie Aas in Flüssen mit vielem Aas. [...]
das Laster - vice
der Genuss - enjoyment, indulgence, pleasure
der Kot - excrement
verweicht - soft, effeminate
mitunter - sometimes
stören - annoy, bother, bug
der Tang - algae, seaweed
knarzen - to groan
das Ersaufen - flood
die Hautfalten - wrinkles
das Gelenk - joint
die Wucht des Anpralls - momentum of impact
der Kies - gravel, grit
ausspeien - expectorate, spew
ausgequetscht - squeezed out
bleich - sallow
gefräßig - gluttonous, greedy
die Niederlage - defeat
Stecken und Stab - stick and rod
die Gosse - gutter
zittern - shiver, tremble
der Geruch - aroma, odor
unterliegen - succumb
die Schwebe - suspension
das Aas - carrion, (british - sod, bugger)
allmählich - gradually