Faust I

von Johann Wolfgang von Goethe

 


Hintergrund:

Faust als Stoff gehört zur Weltliteratur, ist ja Allgemeinkulturgut geworden. Goethe wollte aber den Pakt zwischen dem stets bestrebenden Gelehrten und dem Teufel Mephistopheles ändern. Anstatt seine Seele einfach zu verlieren, muss bei Goethe der Teufel Faust wirklich sättigen oder befriedigen, so dass er so zufrieden ist, dass zu dem Augenblick sagen könnte: "du bist so schön!" (Zeile 1700). Dabei kann Faust diese Macht geniessen und seine Seele nicht verlieren.

 

 


Der Tragödie erster Teil

 

Nacht

In einem hochgewölbten, engen gotischen Zimmer

 

FAUST unruhig auf seinem Sessel am Pulte.

 

FAUST. Habe nun, ach! Philosophie,

Juristerei und Medizin, 355

Und leider auch Theologie!

Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.

Da steh ich nun, ich armer Tor!

Und bin so klug als wie zuvor;

Heiße Magister, heiße Doktor gar, 360

Und ziehe schon an die zehen Jahr

Herauf, herab und quer und krumm

Meine Schüler an der Nase herum -

Und sehe, daß wir nichts wissen können!

Das will mir schier das Herz verbrennen. 365

Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,

Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;

Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,

Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel -

Dafür ist mir auch alle Freud entrissen, 370

Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,

Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,

Die Menschen zu bessern und zu bekehren.

Auch hab ich weder Gut noch Geld,

Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt; 375

Es möchte kein Hund so länger leben!

Drum hab ich mich der Magie ergeben,

Ob mir durch Geistes Kraft und Mund

Nicht manch Geheimnis würde kund;

Daß ich nicht mehr, mit sauerm Schweiß, 380

Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;

Daß ich erkenne, was die Welt

Im Innersten zusammenhält,

Schau alle Wirkenskraft und Samen,

Und tu nicht mehr in Worten kramen. 385

 


 MEPHISTOPHELES.

Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden,

Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn;

Wenn wir uns drüben wiederfinden,

So sollst du mir das gleiche tun.

FAUST. Das Drüben kann mich wenig kümmern; 1660

Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern,

Die andre mag darnach entstehn.

Aus dieser Erde quillen meine Freuden,

Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;

Kann ich mich erst von ihnen scheiden, 1665

Dann mag, was will und kann, geschehn.

Davon will ich nichts weiter hören,

Ob man auch künftig haßt und liebt,

Und ob es auch in jenen Sphären

Ein Oben oder Unten gibt.

MEPHISTOPHELES. In diesem Sinne kannst du’s wagen.

Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen,

Mit Freuden meine Künste sehn,

Ich gebe dir, was noch kein Mensch gesehn.

FAUST. Was willst du armer Teufel geben? 1675

Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben,

Von deinesgleichen je gefaßt?

Doch hast du Speise, die nicht sättigt, hast

Du rotes Gold, das ohne Rast,

Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt, 1680

Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt,

Ein Mädchen, das an meiner Brust

Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet,

Der Ehre schöne Götterlust,

Die, wie ein Meteor, verschwindet? 1685

Zeig mir die Frucht, die fault, eh man sie bricht,

Und Bäume, die sich täglich neu begrünen!

MEPHISTOPHELES.

Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,

Mit solchen Schätzen kann ich dienen.

Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran, 1690

Wo wir was Guts in Ruhe schmausen mögen.

FAUST. Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,

So sei es gleich um mich getan!

Kannst du mich schmeichelnd je belügen,

Daß ich mir selbst gefallen mag, 1695

Kannst du mich mit Genuß betrügen -

Das sei für mich der letzte Tag!

Die Wette biet ich!

MEPHISTOPHELES. Topp!

FAUST.

Und Schlag auf Schlag!

Werd ich zum Augenblicke sagen:

Verweile doch! du bist so schön! 1700

Dann magst du mich in Fesseln schlagen,

Dann will ich gern zugrunde gehn!

Dann mag die Totenglocke schallen,

Dann bist du deines Dienstes frei,

Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen, 1705

Es sei die Zeit für mich vorbei!

MEPHISTOPHELES.

Bedenk es wohl, wir werden’s nicht vergessen.

FAUST. Dazu hast du ein volles Recht;

Ich habe mich nicht freventlich vermessen.

Wie ich beharre, bin ich Knecht, 1710

Ob dein, was frag ich, oder wessen.

MEPHISTOPHELES.

Ich werde heute gleich, beim Doktorschmaus,

Als Diener meine Pflicht erfüllen.

Nur eins! - Um Lebens oder Sterbens willen

Bitt ich mir ein paar Zeilen aus. 1715

FAUST. Auch was Geschriebnes forderst du Pedant?

Hast du noch keinen Mann, nicht Manneswort gekannt?

Ist’s nicht genug, daß mein gesprochnes Wort

Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten?

Rast nicht die Welt in allen Strömen fort, 1720

Und mich soll ein Versprechen halten?

Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt,

Wer mag sich gern davon befreien?

Beglückt, wer Treue rein im Busen trägt,

Kein Opfer wird ihn je gereuen! 1725

Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt,

Ist ein Gespenst, vor dem sich alle scheuen.

Das Wort erstirbt schon in der Feder,

Die Herrschaft führen Wachs und Leder.

Was willst du böser Geist von mir? 1730

Erz, Marmor, Pergament, Papier?

Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben?

Ich gebe jede Wahl dir frei.

MEPHISTOPHELES. Wie magst du deine Rednerei

Nur gleich so hitzig übertreiben? 1735

Ist doch ein jedes Blättchen gut.

Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.

FAUST. Wenn dies dir völlig Gnüge tut,

So mag es bei der Fratze bleiben.

MEPHISTOPHELES. Blut ist ein ganz besondrer Saft. 1740

FAUST. Nur keine Furcht, daß ich dies Bündnis breche!

Das Streben meiner ganzen Kraft

Ist grade das, was ich verspreche.

Ich habe mich zu hoch gebläht,

In deinen Rang gehör ich nur. 1745

Der große Geist hat mich verschmäht,

Vor mir verschließt sich die Natur.

Des Denkens Faden ist zerrissen,

Mir ekelt lange vor allem Wissen.

Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit 1750

Uns glühende Leidenschaften stillen!

In undurchdrungnen Zauberhüllen

Sei jedes Wunder gleich bereit!

Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit,

Ins Rollen der Begebenheit! 1755

Da mag denn Schmerz und Genuß,

Gelingen und Verdruß

Miteinander wechseln, wie es kann;

Nur rastlos betätigt sich der Mann.


hochgewoelbt - high vaulted (ceiling)

Pult - desk

Bemuehn - effort

Tor - fool

Laffen - immature, arrogant young men

Pfaffen - priests

Skrupel - scruple

bekehren - to proselytize

rasten - to rest

Drueben - the other side, over there (the place you go to after you die)

quillen (quellen) - to swell

Quecksilber - mercury

zerrinnen - to melt away

verweilen - to stay

freventlich - committing iniquity

Griffel - ink pen

Gnuege - satisfaction

verschmaeht - to despise

Verdruss- disappointment, displeasure