Römische Elegien: 7. und 9. Elegien

von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)


Hintergrund:

Goethe feiert sein Dasein in Rom, das eine volle Befreiung für ihn bedeutete. Die Elegien sind Ausdruck seiner Begeisterung für sowohl Rom und die Welt der Antike, die er dort erlebte, als auch die freie Liebe, die er dort genoss.  

Eine Elegie ist eine Gedichtform mit einer Reihung von Distichon oder Zweizeilern; die erste Zeile ist in Hexameter und die zweite in Pentameter. Der ursprüngliche Titel war "Erotica Romana" und wurde ein 20-teiliger Zyklus, den er nach seiner Rückkehr aus Italien schrieb.


Siebente Elegie

 

O wie fühl ich in Rom mich so froh, gedenk ich der Zeiten,

Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing,

Trübe der Himmel und schwer auf meine Scheitel sich senkte,

Farb- und gestaltlos die Welt um den Ermatteten lag,

Und ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes

Düstre Wege zu spähn, still in Betrachtung versank.

Nun umleuchtet der Glanz des helleren Äthers die Stirne.

Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor.

Sternhell glänzet die Nacht, sie klingt von weichen Gesängen,

Und mir leuchtet der Mond heller als nordischer Tag.

Welche Seligkeit ward mir Sterblichem! Träum ich? Empfänget

Dein ambrosisches Haus, Jupiter Vater, den Gast?

Ach, hier lieg ich und strecke nach deinen Knieen die Hände

Flehend aus. O vernimm, Jupiter Xenius, mich!

Wie ich hereingekommen, ich kanns nicht sagen: es faßte

Hebe den Wandrer und zog mich in die Hallen heran.

Hast du ihr einen Heroen herauf zu führen geboten?

Irrte die Schöne? Vergib! Laß mir des Irrtums Gewinn!

Deine Tochter Fortuna, sie auch! die herrlichsten Gaben

Teilt als ein Mädchen sie aus, wie es die Laune gebeut.

Bist du der wirtliche Gott? O dann so verstoße den Gastfreund

Nicht von deinem Olymp wieder zur Erde hinab!

»Dichter! Wohin versteigest du dich?« – Vergib mir: der hohe

Kapitolinische Berg ist dir ein zweiter Olymp.

Dulde mich, Jupiter, hier, und Hermes führe mich später

Cestius Mal vorbei, leise zum Orkus hinab.

 


Neunte Elegie

 

Herbstlich leuchtet die Flamme vom ländlich geselligen Herde,

Knistert und glänzet, wie rasch! sausend vom Reisig empor.

Diesen Abend erfreut sie mich mehr: denn eh noch zur Kohle

Sich das Bündel verzehrt, unter die Asche sich neigt,

Kommt mein liebliches Mädchen. Dann flammen Reisig und Scheite,

Und die erwärmte Nacht wird uns ein glänzendes Fest.

Morgen frühe geschäftig verläßt sie das Lager der Liebe,

Weckt aus der Asche behend Flammen aufs neue hervor.

Denn vor andern verlieh der Schmeichlerin Amor die Gabe,

Freude zu wecken, die kaum still wie zu Asche versank.

 

 


Phöbus - auch Apollo genannt, der Sonnengott

ambrosisch - Speise der Götter

Jupiter Xenius - der höchste römische Gott ( = griechischer Zeus)

Hebe - Göttin der Jugend

Fortuna - Göttin des Glücks

der hohe kapitolische Berg - einer der sieben Hügel Roms

Olymp - Sitz der griechischen Götter

Hermes - Gott, der die Seelen der Verstorbenen in die Unterwelt leitet

Cestius Mal - Grabmal in Rom

Orkus - hier: die Unterwelt

Amor - Göttin der Liebe

fühlen - to sense, feel

froh - cherry, merry

trüb - clouded, gray

sich senken - to shorten, to subside

gestaltlos - unshaped

unbefriedigt - unsatisfied

düster - gloomy

spähen - to spy, to peek

die Betrachtung - contemplation, reflection

der Äther - airwaves, ether

meichen - to give way

die Seligkeit - bliss, blessedness

der Sterbliche - mortal

ausstrecken - to stretch

O vernimm - vernehmen - to hear

geboten (adj) - demand, necessary

führen- to command

der Orkus - hades

leuchten - to illuminate, to shine